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1. Die Europäisierung des Rechtsbürgers

Ralf Dahrendorf (1990:823), ein unverdächtiger binationaler Zeuge par excellence, gestand einmal, daß er "unrekonstruierter Kantianer" bleibe, in der Annahme, daß Verfassungspatrotismus erst möglich werde, wenn eine Rechtseinheit gegeben sei. Diese wird vom Europäischen Gerichtshof mächtig befördert. Solange aber selbst das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 89) kräftig mauert, um weitere Erosionen der nationalen Kompetenzen zu verhindern, ist nicht einmal diese leichteste Form der Schaffung des einheitlichen Rechtsbürgers gesichert. In Dänemark-nicht berüchtigt für Nationalismus-wurde von der Regierung spontan klar gestellt: "Citizenship of the Union is a political and legal concept which is entirely different from the concept of citizenship within the meaning of the Constitution of the Kingdom of Denmark and the Danish legal system. Citizenship of the Union in no way in itself gives a national of another Member State the right to obtain Danish Citizenship". So sprach ein Land mit einer der liberalsten Einbürgerungspraktiken in der Union. Der Edinburgh-Gipfel versuchte abzuwiegeln. "The provisions of Part Two of the Treaty ... do not in any way take the place of national citizenship". Aber diese Definition ist nicht wasserdicht (Jesserum d'Olivera 1994:135), wie das Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen und das Recht zu kandidieren nach Art. 8b1 zeigt. In europäischen Wahlen sollen die Nichtbürger von Mitgliedstaaten mit einheimischen Bürger gleichgestellt werden (Art. 8b2). Aber es ist kein Zufall, daß die notwendigen Durchführungsregeln nicht implementiert wurden.

Die Staatsbürgerschaftskonzeption der Akte von Maastricht ist klar nicht-ethnisch definiert. Aber eine itio in partes bei der Definition der Gewährung der Staatsbürgerschaft, wie sie selbst die Schweizer Kantone noch besitzen, würde archaische Relikte des jus sanguinis schützen, was nicht die Absicht der EU sein kann. Kritiker von außen haben immer wieder die "ontologische Konzeption der Staatsbürgerschaft" in Deutschland kritisiert. Sie entstand nicht aus einem spezifischen Rassismus, sondern aus der Tatsache, daß sich das Territorium des Deutschen Reiches, des Deutschen Bundes und der deutschen Staaten nach 1945 permanent wandelte. Inklusion der ausgeschlossenen Deutschen war erforderlich. Erst 1990 waren die Bedingungen für die Beseitigung des Blutsprinzips voll gegeben. Die Regierung Schröder hat die notwendigen Schritte eingeleitet.

Bei den legalen Aspekten des Citizenship ist der Status der Minderheiten wichtig. Vielfach handelt es sich um Staatsbürger-umso mehr, wenn eine großzügige Staatsbürgerschaftspolitik getrieben wurde, wie in Frankreich. Die jakobinische Tradition der "nation une et indivisible" vollzog die Integration über die Sprache. Lange schien Frankreich mit den Nordafrikanern keine Probleme zu haben. Viele konnten vorzüglich französisch. Dennoch ist ihre Häufung in den Vorstädten von Marseille bis Straßburg bei hoher Arbeitslosigkeit zum sozialen Problem geworden. Paradoxerweise war die Staatsbürgernation Frankreich intoleranter hinsichtlich der Kleiderordnung und den Symbolen des islamischen Fundamentalismus in der Schule als Deutschland.

Wie weit darf rechtlich gesehen die Toleranz gehen? Die politische Philosophie hat die Grenze dort gesetzt, wo schwere körperliche Schäden zugefügt werden: von Stammesnarben bis Frauenbeschneidung. Aber die Implementationsbereitschaft solcher Prinzipien, auf die sich die Gemeinschaft einigen könnte, ist höchst unterschiedlich in einzelnen Mitgliedstaaten entwickelt.

Der Schutz der EU-Bürger im Ausland ist relativ klar geregelt. Aber die Grundrechte im Inneren sind offen für Konflikte. Art. F 2 des "Unionsvertrags" fordert die Respektierung der Grundrechte und fügt auch die gemeinsame Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hinzu. Aber weite Bereiche der Grundrechte sind nicht gemeinsam, wie die Unterschiede bei der exzessiven Betonung der sozialen Grundrechte in Italien und die Enthaltsamkeit bei diesen im Grundgesetz zeigen. Deutsche Staatszielbestimmungen, obwohl nicht einklagbar, sind hingegen der angelsächsischen Tradition völlig fremd, die metaphysischen Deklarationen mißtraut. Menschenrechte sind universalistisch, daher genießen sie auch die Nichtmitglieder eines Mitgliedstaates, dennoch ist die Inklusion der alien residents höchst unterschiedlich in Europa geregelt (Wiener 1998).

Die fundamentalen Grundrechte werden im ganzen überall in der Union respektiert, auch wenn Amnesty International immer wieder einmal auch EU-Mitglieder an den Pranger stellt. Aber unterhalb dieser Grundrechtsebene gibt es Rechte wie die des Art. 8a mit "freier Residenz und Bewegungsmöglichkeit innerhalb des Territoriums der Mitgliedstaaten" von denen nicht verschwiegen wird, daß sie mit nationalen Bestimmungen und Restriktionen in Konflikt stehen. Konditionale Grundrechte werden im Art. 48 vergeben, wie die "Bewegungsfreiheit der Arbeiter wenigstens am Ende einer Übergangsperiode". Wieder sind die nationalen Dispositionen sehr unterschiedlich. Italien hat das Recht auf Arbeit als Kompromiß zwischen Christdemokraten und Kommunisten in seine Verfassung an prominenter Stelle untergebracht. Die Bundesrepublik hingegen hat sie für irreführend gehalten. Jeder weiß, daß Italien auch heute noch, wo Deutschland in zweistellige Zahlen bei der Arbeitslosigkeit geriet, über dem Unterbeschäftigungsniveau Italiens liegt. Als symbolische Politik und Merkposten werden solche Artikel gleichwohl verteidigt und wirken auf die Akzeptanz von Freizügigkeit des Faktors Arbeit zurück. Es zeigt sich an der laufenden Debatte um die Grundrechtscharta, daß Europa sich nur auf den harten Kern der Menschen- und Bürgerrechte einigen wird.


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