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III. Das Fehlen von Parteien als Teil der Zivilgesellschaft

Somit wird verstärkt auf organisierte Interessenvertretung gesetzt - aber: was sind die Alternativen? Es ist schwerlich möglich, 350 Millionen Europäer zu befragen und einzubeziehen. Deswegen ist Interessenbündelung sicherlich notwendig. Doch gerade wenn man dies so sieht und die EU wie den "Staat" als Zweckverband, als komplementäres Instrument politischer (Selbst-)Steuerung einer sich bildenden europäischen Gesellschaft betrachtet, welche ihre Legitimation durch die Bürger bezieht7 - das legt auch das Weißbuch zu Recht nahe (S. 10)8 -, erstaunt doch eine gewichtige Auslassung. Das völlige Fehlen der Art und Weise einer Einbeziehung (europäischer) Parteien. Dies ist nur dann erklärlich, wenn man entweder die Bürger- oder Zivilgesellschaft als strukturellen Ersatz parteienstaatlicher Institutionen versteht. Dies könnte mit der in den letzten Jahren zu beobachtenden stärker werdenden "Parteienverdrossenheit" erklärt werden9. Oder man rechnet Parteien mit Leibholz dem öffentlichen Sektor, nicht der Zivilgesellschaft zu. Aber auch als Teil des "Parteienstaates" - man müsste auf europäischer Ebene wohl von einer "Parteiengemeinschaft" reden - werden Parteien noch nicht einmal erwähnt. Und selbst wenn man die Trennung von Staat und Gesellschaft - zutreffend - als überholt ansieht10, müssten Parteien zumindest als Zusammenschluss der Einzelnen, die dann Sachwalter einer Öffentlichen Ordnung sind, die alle Lebensbereiche durchdringt, Erwähnung finden.

Damit verspielt das Weißbuch eine große Chance: die Politisierung der Europäischen Union11.
Hier soll nicht die oftmals beschworene Krise der Parteien12 beschönigt werden. Dennoch sind Parteien - immer noch - unabdingbar für die Verwirklichung des Demokratieprinzips, hier vor allem für die Willensbildung der Bürger sowie umgekehrt den Transport von den Bürgern zu den Entscheidungsträgern13. Dies wird auch durch Art. 191 EGV auf europäischer Ebene anerkannt. Ebenso wie Art. 21 GG enthält Art. 191 EGV keine Funktionszuweisung an Europäische Parteien. Europäische Parteien sind vielmehr eine Voraussetzung dafür, das Demokratieprinzip - es ist mittlerweile in Art. 6 Abs. 1 EUV niedergeschrieben - in der Praxis zur Bewährung zu verhelfen14. Parteien können ihre Funktionen lediglich aus einem Vermittlungsmechanismus zwischen Unionsbürgern und Hoheitsorganen der Europäischen Gemeinschaften herleiten. Dieser Vermittlungsmechanismus kann jedoch nur sinnvoll funktionieren, wenn eine - möglichst mitgliedstaatenübergreifende - politische Auseinandersetzung erfolgt. Diese wiederum funktioniert, das hat die Politikwissenschaft nachgewiesen, am besten durch Polarisierung15. Und wer, wenn nicht europäische Parteien, könnte diese Aufgabe am besten lösen? Damit schließt sich der Kreis. Allerdings muss für diese Sichtweise in drei Punkten Einigkeit erzielt werden:


7 Ingolf Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 149 (164); Ders., Kompetenzabgrenzung im Europäischen Verfassungsverbund, JZ 2000, S. 866 (871 f.); Jo Shaw, Postnational constitutionalism in the European Union, Journal of European Public Policy, 1999, S. 579, 587 ff.

8 Anders allerdings Fritz Scharpf, European Governance: Common concerns vs. The challenge of diversity, http://www.jeanmonnetprogram.org/papers/01/010701.html, S.7, der davon ausgeht, dass "the powers the Union is able to exercise were either delegated by the governments of Member States or they were usurped by the Commission and the Court ...".

9 So interpretiert Franz Walter, (oben FN 5), S. 45 die Bürgergesellschaft.

10 Horst Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 5 f; ders, Staat, und Gesellschaft als verfassungstheoretisches Problem, in: Festgabe für R. Smend, 1962, S. 24 f. Stephan Wernicke, Die Privatwirkung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002 (i.E.), 7. Kapitel insb. unter V. 2).

11 Ähnlicch J. H. H. Weiler, To be a Europeann Citizen: Eros and civilisation, in: The Constitution of Europe, 1999, S. 324 (329 ff.). Paul Magnette, Can the European Union be politicised?, http://www.jeanmonnetprogram.org/papers/01/010901.html ., insbesondere S. 6 ff.

12 Vgl. z. B. Hans Herbert von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie, 2000, S. 144 ff., der von "Kartellparteien" spricht.

13 Rainer Stentzel, Der normative Gehalt des Art. 138 a EGV - Rechtlicher Rahmen eines europäischen Parteiensystems?, EuR 1997, S. 174 (179); Dimitris Tsatsos/Gerold Deinzer, Keine Europäische Integration ohne Europäische Politische Parteien, in: dies., Europäische Politische Parteien, 1998, S. 13 (21). A. A. Marc Reichel, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der Parteien, 1996, S. 32 ff.

14 Rainer Stentzel, (oben FN 13) S. 180; auch für Dieter Grimm kann die "Verortung der Parteien nur vom ... Demokratieprinzip ausgehen", Politische Parteien, in: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage 1995, S. 599 (616.); Martin Morlok, Europa vor der Wahl: Rechtlicher Status und politische Rolle der Parteien im Entscheidungsprozeß der EU, http://www.rewi.hu-berlin.de/WHI/deutsch/fce/fce499/index.htm, Rn. 39.

15 Paul Magnette (oben FN 11), S. 6 f. Nona Mayer; Pascal Perrineau, Les comportements politiques, 1992.

16 Karl-Albrecht Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 662 ff.

17 Niklas Luhmann, Politische Steuerung: ein Diskussionsbeitrag, PVS 30 (1989) S. 4 (7); Rosenau, Governance, order and change in world politics, in: ders.; Czempiel, Governance without government: order and change in world politics, S. 5; vgl. auch Kenis/Schneider, Verteilte Kontrolle, Institutionelle Steuerung in modernen Gesellschaften, in: dies., Organisation und Netzwerk, Institutionelle Steuerung in Wirtschaft und Politik, 1996, S. 9 (18).

18 So der Vorwurf von Jürgen Habermas, Jenseits des Nationalstaats? Bemerkungen zu Folgeproblemen der wirtschaftlichen Globalisierung, in: Beck, Politik der Globalisierung, 1998, S. 67 (83).

19 Zum Begriff der europäischen Parteien vg. Martin Morlok, (oben 14), Rnrn. 54 ff.

20 Paul Magnette., (oben FN 11), S. 7. Martin Morlok (oben FN 14), Rnrn. 28, 42.

21 Auch die Kommission geht von einem Disput mit "dem Europäischen Parlament" aus, so Kommissar Fritz Bolkestein, zitiert in EU-Nachrichten Nr. 25 2001, S. 1.

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