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3. Die Souveränitätsteilung

Die EU beruht auf der Kooperation von souveränen Staaten. Sie alle sind Mitglieder der Vereinten Nationen, und sie besitzen auch die alleinige Kompetenz zur Gestaltung der Verträge, auf denen die EU beruht. Die Übertragung von Kompetenzen auf die europäische Ebene bedeutet nicht die Aufgabe des Souveränitätsanspruchs der Mitgliedstaaten, sondern die Bereitschaft, Souveränitätsrechte in einem Verbundsystem wahrzunehmen. Die Forderung Fischers, die "Kernsouveränität" auf die Föderation zu übertragen, steht insofern auch deutlich im Gegensatz zur Formel des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, der von der "gemeinsamen Wahrnehmung eines Teils der nationalstaatlichen Souveränitätsrechte" sprach. Die Konsequenzen sind klar. Solange die Mitgliedstaaten "Teilkompetenzen" gemeinsam wahrnehmen, bleiben sie die zentralen Ordnungseinheiten, denen die Souveränität zugerechnet wird. Sollen aber die-wie immer bestimmten-"Kernsouveränitäten" auf die "Föderation" übertragen werden, so wird diese zum Träger der zentralen Souveränitätsrechte. Um dieses zu erreichen, müsste eine Konföderation mit originärer Souveränität gegründet werden. Erst dann wäre auch eine Zurechnungsinstanz konstituiert, die einen "Bundesstaat" ausbilden könnte; denn "Föderation" ist doch wohl nur ein euphemistischer Ausdruck für das eigentlich Gemeinte, nämlich den europäischen Bundesstaat. Für die Konstituierung eines eigenständigen Souveränitätsträgers müsste sich auch aus der Bevölkerung der EU das europäischen Volk als Inhaber der Souveränität konstituieren. Das wäre dann in der Tat der "große Sprung", der die bisherige Ordnung der EU auflöst. Ob ein solcher "Sprung" wünschenswert ist und unter welchen Bedingungen dieser gelingen könnte, wäre im einzelnen zu prüfen. Ob dieser "Sprung" für den Integrationsprozess notwendig ist, ist eine andere Frage.

Im Zuge der Integrationsverdichtung hat sich eine "Säulenarchitektur" in der Europäischen Union ausgebildet, die verschiedene Aufgaben einerseits in supranationale Beschluss- und Verwaltungsregime überwiesen und andererseits internationalen Kooperationssystemen vorbehalten hat. Es bestehen verschiedene Regime nebeneinander, das Regime für den Binnenmarkt, das Regime für den "Schengener Raum", das Regime des "Euroraums" und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die Mitgliedstaaten der EU gehören nicht alle den gleichen Regimen an. Die gewünschte "Flexibilität" hat in der "Säulenarchitektur" bereits ihren Ausdruck gefunden. Will man auf diesem Wege in der Integrationspolitik fortschreiten, so sollte man die lose Konstruktion der "Säulenarchitektur" nicht aufgeben. Die bisherigen Erfolge der europäischen Integration wurden durch einen evolutionären Prozess der segmentären Koordination erzielt. Der "Sprung" in einen Herrschaftsverband mit "Kernsouveränitäten" und dementsprechend einer Kompetenz-Kompetenz würde diesen evolutionären Prozess unterbrechen und eine normative Integrationsdichte ansinnen, die zu erheblichen Anspruchserhöhungen an die Regulierungs- und Redistributionskraft der europäischen Ebene führen müsste. Die sich daraus ergebenden Konflikte und Enttäuschungen liegen auf der Hand und würden die europäische Integration in eine konfliktverschärfende Politisierung führen. Es erscheint nicht zweckmäßig, eine politische Ordnung zu konstituieren, die aller Voraussicht nach die an sie gerichteten Erwartungen, etwa auf dem Gebiet der Beschäftigung und der Angleichung der Lebensverhältnisse, nicht erfüllen kann und die sich dadurch selbst in Legitimationsnot begibt. Der bisherige Erfolg der Integration beruhte darauf, dass die einzelnen Integrationsschritte konsensual beschlossen, durch die Binnensysteme der Mitgliedsländer hinreichend legitimiert wurden und in ihren Ergebnissen auch die geweckten Erwartungen erfüllen konnten. Die Kompetenz-Kompetenz wird durch den Europäischen Rat im Namen der nationalen Souveränitätsrechte konsensual wahrgenommen. Der Europäische Rat verlöre diese Kompetenz-Kompetenz, wenn es einen eigenen Souveränitätsträger neben ihm gäbe. Fischer schreibt zwar: "die Vorstellung eines europäischen Bundesstaates, der als neuer Souverän die alten Nationalstaaten und ihre Demokratien ablöst, erweist sich als ein synthetisches Konstrukt jenseits der gewachsenen Realitäten", aber eine "Souveränitätsteilung von Europa und Nationalstaat" muss zur Begründung eines neuen Trägers von Souveränitätsrechten, eines "europäischen Volkes", führen, eben zu dem, was er ein "synthetisches Konstrukt" nennt.


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