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3. Demokratie ohne Politik: Das Demokratiekonzept des Weißbuchs

Von den fünf Grundsätzen ,,guten Regierens", die die Kommission im Weißbuch entwickelt, können drei problemlos als Elemente einer modernen Demokratietheorie verstanden werden: Offenheit, Partizipation und Verantwortlichkeit (13 f.). Doch ist diesen Elementen in der Form, in der sie das Weißbuch präsentiert, zugleich gemein, daß sie eine Bindung der Kommission an Entscheidungen von außen ebensowenig vorsehen wie eine politische Auseinandersetzung über Ziele und Mittel. Weder der Rat noch die Wähler werden in diesem Entwurf in die Lage versetzt, die Kommission zu binden. Dies wird deutlicher, wenn man einen genaueren Blick auf die Formulierungen wirft:

Das Weißbuch hebt den Begriff der Verantwortlichkeit hervor, zieht aus ihm aber keine konkreten institutionelle Konsequenzen für die Verantwortlichkeit der Kommission. Unzweifelhaft ist eine klare Rollenverteilung zwischen den institutionellen Akteuren wünschenswert (13). Aber zu einem demokratischen Konzept wird der Begriff der Verantwortlichkeit erst, wenn die Verantwortungszurechnung auch zu Sanktionen führen kann. Das Ende der Santer-Kommission hätte in diesem Zusammenhang gründlicher auf institutionelle Konsequenzen befragt werden können, die über die gegenwärtigen Regeln hinausgehen. Aber auf eine solche politische Schärfung von ,,Verantwortlichkeit", die die Kommission sicherlich stärken würde, will das Weißbuch nicht hinaus. Der Begriff bleibt Teil eines undeutlichen Diskurskonzeptes, zu dem recht pauschale Schuldzuweisungen an Verwaltungen und Gerichte der Mitgliedstaaten einen eigenen Beitrag leisten (32).

Auch die Verwendung der Kategorie Partizipation erweckt entsprechende Bedenken. Man muß nicht Anhänger einer strikt intergouvernemental argumentierenden Demokratietheorie der Gemeinschaft sein8, um sich über die umstandslose Gegenüberstellung von diplomatischem und demokratischem Prozeß im Weißbuch (38 f.) zu wundern. Ganz im Gegenteil erinnern von der Kommission verwendete Figuren wie ,,Konsultationskultur" und ,,Kohärenz" deutlich an die Arbeit internationaler Organisationen. Jede einigermaßen ausdifferenzierte internationale Organisation bedient sich der Beteiligung von Betroffenen bei der Ausarbeitung von Standards9 - aber es sind gerade nicht diese Partizipationsmechanismen, die eine demokratische Herrschaftsausübung begründen oder den Besonderheiten der Europäischen Integration gerecht würden. Die politischen Beobachtungsbeziehungen zwischen Bevölkerung und Regierungen einerseits, Kommission andererseits werden dabei vollständig außer acht gelassen. Daß die Kommission sich mit ihrem Plädoyer für die Abschaffung der Komitologie (40 f.) gerade gegen diejenige gemeinschaftsspezifische Institution wendet, an deren Beispiel neue Formen demokratischer Legitimation entwickelt wurden10, ergänzt diesen Eindruck; die Definition des Begriffs Zivilgesellschaft als Summe aller Korporatismen (19 Anm. 1) rundet ihn schließlich ab. Die Kommission folgt damit einer Tendenz, die sich auch in der politischen Theorie der letzten Jahre erkennen läßt. Unter dem Stichwort der deliberativen Demokratie werden neue Formen der Legitimation diskutiert. Relativ wenig Beachtung findet dagegen der Umstand, daß Demokratie und Deliberation zwei unterscheidbare Elemente des Konzepts darstellen11. Demokratische Selbstbestimmung fordert mehr als eine Gelegenheit zur Äußerung.

In der Beschränkung von Demokratie auf einen Dialog mit Eliten und Korporationen, in der Verdrängung der Tatsache, daß die Kommission Herrschaft ausübt, und in seiner Entrücktheit von demokratischen Prozessen, die zwar auf nationalstaatlicher Ebene entwickelt wurden, sich aber nicht zwingend auf diese beschränken, zeigt sich deutlich das fortbestehende neo-funktionalistische Selbstverständnis der Kommission, das eine Erweiterung der Kommissionskompetenzen schwerlich rechtfertigen kann. Die Tatsache, daß die Gemeinschaft in der Zukunft mehr und mehr von der Verteilung von Freiheitsrechten zum Eingriff in solche übergehen wird, daß also die Herrschaftsausübung der Gemeinschaft immer deutlicher spürbar wird, bleibt systematisch verkannt.


8 Für die nach wie vor manches spricht: M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997

9 Zur Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei der Standardsetzung der ILO, vgl. z.B. http://www.ilo.org/public/english/standards/norm/sources/noterole.htm

10 Vgl. nur C. Joerges/J. Neyer, From Intergovernmental Bargaining to Deliberative Political Processes: The Constitutional of Comitology, European Law Journal 3 (1997), 273-299.

11 J. M. Bessette, The Mild Voice of Reason, 1997.

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